von Jens Peter Koerver, erschienen zum Katalog »Aus der Tiefe« zur DEW21 Kunstpreisträgerausstellung im Dortmunder U, Dezember 2018
Es ist nicht leicht zu sagen, was sich auf den Bildern Sonja Kuprats ereignet. Offen ist, wo sich dergleichen abspielt. Offen sind die Dimensionen der Handlungsräume, fehlen doch alle Indizien und Maßstäbe, die zumindest Mutmaßungen stützen könnten. Vage benennen lassen sich spektakuläre Lichterscheinungen, Fluten und Sturzregen, Berstendes, Herabstürzendes oder Herabschwebendes, Glühendes und Kühles. Auch wenn Wolken und Nebel mit Gewissheit auszumachen sind, bleiben diese Bilder geheimnisvoll, rätselhaft. Landschaften sind es nur ausnahmsweise, Horizonte gibt es allenfalls als Andeutungen und Ahnungen. Oft bleiben die Räume bodenlos, eher sind es atmosphärisch dimensionierte Sphären, kosmische Weiten oder Tiefen ohne identifizierbaren Betrachter-standort.
Fraglos aber sind es Handlungen, transitorische Situationen, die einen vorübergehenden Moment im Bild festhalten und damit zugleich ein Zuvor und ein Danach, als Gedanken, als vorstellbare Vor- und Nachbilder evozieren. Aber jenseits individuell-subjektiver, erfahrungsabhängiger Zuschreibungen bleibt das akute Bildgeschehen unergründlich.
Durch den Verzicht auf Bildtitel – die einzelnen Werke tragen lediglich fortlaufende Nummern – existieren keine sprachlichen Hinweise zu den einzelnen Arbeiten. Ebenso wenig gibt es Erläuterungen oder begleitende Texte der Künstlerin. Lediglich die Namen einzelner Werkgruppen, die auch als Ausstellungstitel fungieren, bieten vage Anhaltspunkte, indem sie das Augenmerk auf bestimmte zentrale Bildelemente richten (» Wolken und Firmament «) oder das Ereignishafte betonen (» was noch werden wird «). Zugleich aber halten sie durch Auslassungen und Leerstellen in der Formulierung die Offenheit des Geschehens aufrecht. Sie ziehen eine Möglichkeitsfülle hinter sich her, da mit einer Formulierung wie » Aus der Tiefe « fraglich bleibt, wer oder was in welcher Weise » Aus der Tiefe « agiert.
Wolken, in fast allen Bildern sind sie – zumindest als vage Ahnung – zu sehen. Wolken und Himmelszonen kommen als den einzigen eindeutig benennbaren Bildgegenständen zentrale Bedeutung zu. Wolken sind auf diffuse Weise bedeutsam, ihre unendliche Gestaltfülle ist eine Einladung zur Assoziation. Einst waren sie Vorzeichen des Bevorstehenden. Ihr Ort ist eine lange für den Menschen unerreichbare, dem Himmel, den Himmlischen nahe Sphäre. Ihr Wesen ist stete Verwandlung. Phantastisch sind sie und zugleich real, faszinierend schon durch ihre schiere Größe, ihre absichtslose Schönheit.
Als Gegenstand der Malerei berühren sie die Grenze zum Abstrakten, gestatten eine enorme Vielfalt der Formen wie sie auch Licht- und Farbspielen größte Freiheit geben, zumal wenn man sich, wie Sonja Kuprat auch, nicht unbedingt zu meteorologisch korrekten Wolken verpflichtet sieht, sie vielmehr gemäß den Notwendigkeiten des jeweiligen Bildes erfindet. Kuprats Wolken sind gemalte Wolken und sie verdanken sich wiederum, zumindest ein Stück weit, der Malerei. Im Atelier gibt es eine Sammlung von Bildreproduktionen, die durch provisorische Abdeckungen auf Wolken, Himmel konzentriert sind. Aber auch der Blick aus dem großen Fenster des Ateliers und Fotografien gehören zusammen mit alltäglichen, beiläufigen Beobachtungen zu den frei genutzten Quellen und Anregungen – nie geht es um direkte oder vollständige Abbildungen – für die in den Bildern festgehaltenen Wolken.
Sonja Kuprat ist ausschließlich Malerin. Malerei ist – eine leicht-fertige Definition, ein Vorschlag – von Hand bewegte Farbe mit der Intention ein Bild zu schaffen. Aus der Interaktion von Farbmaterial (hier ist es Ölfarbe), einem Träger (hier Leinwand oder Holz) und dem Malenden, also der Einheit aus Auge, Hand, Körper, Emotion, Erfahrung, Verstand und Geist, entwickelt sich, wenn alles gut geht, jene eigentümliche, in ihrer Lebendigkeit nicht recht fassbare Attraktion des gemalten Bildes.
Sonja Kuprat beginnt ihre Malereien stets auf dunklem, scheinbar schwarzem Grund. Nichts ist vorgezeichnet, vorgedacht (Ausnahmen Nr. 429 und 430) bestätigen die Regel. Was Bild wird, ergibt sich nach und nach in einem diffizilen Prozess aus Anfängen, ersten, willkürlich erscheinenden Setzungen. Aus diesen erwachsen Möglichkeiten, zeichnet sich eine Richtung ab, die sich konkretisieren kann oder auch wieder verworfen, gelöscht werden muss. Natürlich spielen hierbei das eigene, individuelle Bildrepertoire, visuelle Neugierde, Gesehenes und noch Ungesehenes, bestimmte Farbvorlieben eine Rolle. Die großen Leinwände werden zunächst auf dem Boden liegend mit expressiv anmutenden Malhandlungen bearbeitet, oft ohne ein definiertes Oben und Unten. Zuletzt, nach verschiedenen Zwischenschritten, werden auf den an der Wand hängenden Arbeiten in minutiöser, zeitaufwändiger Pinselmalerei Wolken, Luft, Himmel entwickelt. Woher diese Bilder kommen ist Sonja Kuprat selbst nicht er-
gründlich. Ihr Zustandekommen ist auch ein Auftauchen » Aus der Tiefe «. Der Zufall spielt, zumal beim Einstieg in die Bildfindung, eine Rolle. Ebenso diverse Handhabungen der Farbe, die von kontrollierten, wohlerwogenen Verfahren wie Gießen, Schütten, Klecksen und Spritzen, über markant platzierte, als solche auch erkennbare Pinselzüge (sie erscheinen wie Leuchtspuren oder Stürzendes, fungieren als Horizont), bis hin zu minutiöser Feinmalerei reichen. Hinzu kommen andere Techniken des Farbauftrags; um Missverständnissen vorzubauen: Airbrush wird nicht verwendet. Seinen Abschluss findet dieser Malprozess, wenn sich das Entstandene »zum Bild schließt« wie Sonja Kuprat sagt, wenn – auch dies ein Zitat – » nichts mehr hinzuzufügen ist «.
Im malerischen Werk Sonja Kuprats nehmen die kleinen, immer auf Holz gemalten Formate einen besonderen Platz ein. Vorstudien für größere Arbeiten sind es nicht, vielmehr handelt es sich um eigenständige Arbeiten, die zwar ein Teil der großen Werkgruppen sind, zugleich aber weisen sie einen ganz eigenen Charakter auf, zeigen – unabhängig von den (nicht immer mit letzter Trennschärfe benennbaren) Differenzkriterien der großen Werkkapitel – eine auffallende Kontinuität. In diesen Bildern verschreibt sich Sonja Kuprat ganz der Wolkenmalerei, konzentriert sich auf eine einzige, einige wenige, manchmal auch ein Wolkenfeld, ein Himmelssfumato aus luftig fließenden Übergängen. Damit verbunden ist – keineswegs immer – die Andeutung einer Landschaftszone, ein Horizont, manchmal ein stark farbiges, mitunter toxisch anmutendes Leuchten am oberen oder unteren Bildrand. Trotzdem, diese Arbeiten erscheinen introvertierter, in sich ruhend, sind eher dem Allmählichen als dem Plötzlichen, dem behutsamen Zauber des Lichts gewidmet.
Die kleinen Tafeln, sie entstehen auf der Staffelei, verdanken sich einer akribischen Feinmalerei. Mit ihr gelingen subtile Vergegenwärtigungen des Sujets, erlangen die Wolkenkörper ihre besondere Plastizität, zeigt sich ihre Weichheit und Transparenz, wird ihr Schweben und Diffundieren in die umgebende Luft ins Bild übersetzt. Auch die Nuancen der Beleuchtung, das An- und Abschwellen des Lichts und damit verbunden die subtilen Färbungen des Himmels, der Wolken sind mit großer Erfindungskraft virtuos entfaltet. Das alles zeugt von einer Freude an der Perfektion, der Illusion, die eine » artifizielle Präsenz « (Lambert Wiesing) des Dargestellten mittels der Malerei erreicht. Diese Bilder zeigen eine Lust am Malen, die ein Auskosten von Nuancen, feinen Unterschieden, minimalen Temperatur- und Farbstufen ist. Nicht zuletzt machen sie augenfällig, wie sehr die Malereien Sonja Kuprats Lichtbilder sind.
Drei der seit 2011 entstandenen Werkgruppen werden in der vorliegenden Publikation exemplarisch vorgestellt. Was sie – besonders in Hinsicht auf die großen Leinwandformate – charakterisiert, ihre Besonderheiten ausmacht, ist nicht von markanten Brüchen oder Entwicklungssprüngen bestimmt, vielmehr sind es Veränderungen oder Weitungen, zeitweilige Interessenverlagerungen, die für diese Gliederung sprechen. So wird die Werkgruppe » was noch werden wird« aus den Jahren 2011 bis 2015 von einer auffallenden Grün-Blau-Farbigkeit bestimmt, aquatische Ereignisse wie gewaltige Güsse und Farbsturzbäche verbunden mit ausgesprochen physischen, mitunter schroff einsetzenden und abbrechenden Farbsetzungen prägen diese Arbeiten. » Wolken und Firmament « (2015–2017) zeigt ein erweitertes Farbspektrum, kaltes Rot, Glühendes sind neue Möglichkeiten. Zugleich erscheinen die Bilder weicher, gewissermaßen wolkiger, verhaltener entfaltet sich ihre Dramatik. Seit 2017 entwickelt sich mit » Aus der Tiefe « die jüngste, noch nicht abgeschlossene Serie. Hier ist das Grün verschwunden, kühles Blau herrscht vor, Rot tritt als ebenso faszinierender wie bedrohlicher Feuerregen in Erscheinung, tiefdunkel und kaum noch irdisch verortet sind die Räume dieser Bilder.
Was die drei Gruppen über Faktoren wie atmosphärische Intensität, geheimnis- volle Ereignisstruktur und maßstablose Räumlichkeit hinaus verbindet, ist eine für diese großformatigen Arbeiten Sonja Kuprats spezifische doppelte Malerei. Diese doppelte Malerei führt anschaulich vor Augen, was die Künstlerin in Gesprächen wiederholt als einen wesentlichen Aspekt ihrer Arbeit formuliert hat, nämlich zu » Zeigen, was Malerei leisten kann «. Diese Doppelung bezieht sich zunächst auf die Kombination von frei gesetzter, geschleuderter, getropfter Farbmaterie und raffinierter, fein ausgeführter Pinselmalerei. Im Bild Nr. 333 schweben grün-weiße Wolken über einem aus Klecksen und Spritzern bestehenden dynamischen Wettergeschehen. Der Licht- und Farbenregen ergießt sich aus gemalten Wolken, das eine verwandelt sich aus dem anderen, verbindet sich zu einem stimmigen Ganzen. Die genuin malerische Tatsache einzelner Pinselstriche zeigt sich in Bild Nr. 396 als etwas grünlich Leuchtendes, Herabfallendes. Die im Bild suggerierte Fallrichtung widerspricht der ebenso sichtbaren Faktizität des Malaktes; die Malerei zeigt ihren Doppelcharakter als illusionistische Darstellung und nüchtern Darstellendes. Eine andere Facette bietet das aus zwei Einzelbildern bestehende Diptychon aus den Nummern 429 und 430. Die Kombination von tiefschwarzer Fläche und rundem Ausblick auf einen Wolkenhimmel – ein Foto im Atelier verweist auf eine vergleichbare Blicksituation im Pantheon – bzw. die Umkehrung dieser Konstellation, nun mit schwarzer Kreisfläche vor einem Wolkenraum, artikuliert das Paradox des Bildes: Zugleich und gleichermaßen Raum und Nichtraum, Illusion und Fakt zu sein. Exemplarisch führt es eine von Sonja Kuprat gern zitierte Maxime Leon Batista Albertis vor Augen. Alberti schrieb 1453, das Bild könne » Raum schaffen, wo keiner ist «. Sowohl die Raumsuggestion wie auch dessen gleichzeitiges Nichtvorhandensein konzentrieren diese doppelten Malerei-Bilder.
Zweierlei verbindet sich – in jeweils unterschiedlicher Weise – bei der Betrachtung der Bilder und macht dabei die Tiefe der Arbeiten Sonja Kuprats deutlich: Es sind Bilder, die Verwandlungen, Übergänge, Auflösungs- und Entstehungsprozesse zeigen, plötzliche und allmähliche, naturgewalthafte und unmerkliche, sanfte. Und es sind unzweifelhaft Malereien, die ihr Entstandensein, ihre Materialität, die Erzeugung von Illusion als ihr Vermögen zeigen. Die Malerei präsentiert sich als Kunst der Verwandlung von Materie im Akt des Malens. Diese Verwandlung, deren Inbegriff die Wolken sind, stellen die Malereien sichtbar vor Augen.
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